Am Anfang des 20. Jahrhunderts faßte die Pfingstbewegung auch in Deutschland Fuß. Während sie von einigen als eine göttliche Antwort auf die geistliche Erstarrung und den Rationalismus in den Kirchen gewertet wurde, erfuhr sie auf der anderen Seite - besonders unter den bereits bestehenden Gemeinden - starke Ablehnung. Der Widerstand wurde vor allem durch die Auswüchse der Pfingstbewegung genährt und gipfelte in der Berliner Erklärung vom 15.9.1909.
Die Berliner Erklärung verurteilte die pfingstlichen Auswüchse als "von unten" - auch wenn sie offen ließ, wieviel in ihr menschlich, seelisch oder dämonisch - und erhob warnend die Stimme gegen Erscheinungen, die man als nicht vom Heiligen Geist gewirkt sehen konnte.
Das Dokument von 1909 war über Jahrzehnte in Deutschland Anlaß zu Trennung und Distanz zwischen pfingstlichen und evangelikalen Christen. Durch die gemeinsame Erklärung der "Evangelischen Allianz Deutschland" und des "Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden" aus dem Jahre 1996 wurde die Berliner Erklärung de facto, wenn auch nicht ausdrücklich, widerrufen.
Wir sind dankbar, daß nach offenen Gesprächen zwischen Vertretern der DEA und des BFP Vertrauen gewachsen ist. Nachdem bereits auch an vielen Orten gut zusammengearbeitet wurde, veröffentlichen wir gemeinsam folgende Erklärung.
1. Der BFP bekennt sich uneingeschränkt zur Glaubensbasis der DEA. Christen aus den freikirchlichen Pfingstgemeinden sind bereit, auf dieser biblisch-theologischen Grundlage in der DEA mitzuarbeiten und die Gemeinsamkeit des Glaubens in den Mittelpunkt zu stellen. Sie werden unterschiedliche Lehrmeinungen und spezifische Formen der Frömmigkeit innerhalb der DEA respektieren und eigene Unterschiede zu anderen Kirchen und Gemeinschaften um des gemeinsamen Zeugnisses und Dienstes willen in der Allianzarbeit zurückstellen. Das Gebet Jesu um die Einheit seiner Jünger gewinnt für uns auch angesichts der zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft wachsende Bedeutung.
2. Im Blick auf die Lehre über den Heiligen Geist und Praxis der Geistesgaben (Charismen) betonen DEA und BFP folgende Übereinstimmungen und treten für deren Verkündigung und praktische Umsetzung ein:
2.1. Wir bekennen uns zum dreieinigen Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Der Heilige Geist ist zugleich Gottes unverfügbares und unverdientes Geschenk an gerechtfertigte Sünder. Wir nehmen diese Gabe demütig und dankbar an.
2.2. Das grundlegende Werk des Heiligen Geistes besteht darin, daß er zur Erkenntnis der Sünde, zu echter Reue und Buße und zum rettenden Glauben an Jesus Christus führt. Der Heilige Geist verherrlicht Christus und bewirkt mit dem Wort Gottes die Wiedergeburt eines Christen. Er rüstet die Gläubigen mit Gaben aus und gibt die Kraft zum Leben in der Heiligung, wirkt die "Frucht des Geistes" (Gal. 5,22) und bevollmächtigt zum Dienst. Diese Sicht läßt kein mehrstufiges Heilsverständnis zu.
2.3. Wir bejahen die Gnadengaben des Heiligen Geistes und die Dienste, wie sie im Neuen Testament bezeugt werden (1. Kor. 12 u. 14 und Römer 12). Diese dienen zur Erfüllung des missionarischen Auftrags, zum Bau der Gemeinde und zur persönlichen Erbauung. Die Praxis der Dienste und Gaben soll von Liebe und Demut geprägt sein. "Einer achte den andern höher als sich selbst" (Phil 2,3; vgl. auch 1. Kor. 13 in seiner zentralen Bedeutung für die Gabenlehre).
2.4. Die Gabendienste und ihre Träger sind auf Ergänzungen und Korrektur angewiesen. Sie müssen sich am in der Bibel offenbarten Wort Gottes messen lassen. Deshalb dürfen die verschiedenen Geistesgaben (z. B. Zungenreden, Heilungen, Unterscheidung der Geister etc.) nicht höher geachtet werden als die Dienste (z. B. Lehre, Leitung, Evangelisation, Barmherzigkeit etc.)
2.4.1. Prophetie im neutestamentlichen Sinne gibt es sowohl durch vollmächtige Auslegung der Heiligen Schrift in die gegenwärtige Situation von Gemeinde und Welt hinein, als auch als geistgewirkte prophetische Rede. Alle Lehre, Weissagung und prophetische Rede ist am Wort der Schrift zu prüfen und zu beurteilen.
2.4.2. Beim Sprachengebet und der Sprachenrede wird die apostolische Ordnung nach 1. Kor. 14 verbindlich anerkannt.
2.4.3. Krankenheilungen sind freie und unverfügbare Geschenke Gottes. Sie weisen zeichenhaft auf den vollbrachten Sieg am Kreuz und auf das kommende Gottesreich hin. Da wir aber "im Glauben und nicht im Schauen" (2. Korinther 4.18) leben, gilt es, in Verkündigung und Seelsorge neben der Bitte um Krankenheilung stets deutlich zu machen, daß Gott auch in Zeiten der Krankheit segnen und sich verherrlichen kann.
3. Wir bedauern, daß spektakuläre Erscheinungen, wie z. B. das "Ruhen im Geist", "Lachen im Geist", die Austreibung sogenannter "territorialer Geister" usw. zur Verunsicherung, Verwirrung und zu Spaltungen in der Gemeinde Jesu geführt haben. Ungeachtet der unterschiedlichen Bewertungen im Einzelnen sind wir uns einig, daß, um des gemeinsamen Auftrags in der Evangelischen Allianz willen, insbesondere im Zusammenhang von Veranstaltungen, Projekten usw., die im Rahmen und in der Verantwortung der Evangelischen Allianz durchgeführt werden, solche umstrittene Inhalte keinen Raum finden.
4. Das Präsidium Freikirchlicher Pfingstgemeinden und der Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz sind bereit, bei sich ergebenden Schwierigkeiten in der praktischen Zusammenarbeit auf örtlicher oder regionaler Ebene an klärenden Gesprächen mitzuwirken.
Deutsche Evangelische Allianz e. V.
Stuttgart, den 1. Juli 1996
Dr. Rolf Hille - 1. Vorsitzender
Peter Strauch - 2. Vorsitzender
Hartmut Steeb - Generalsekretär
Christoph Morgner - Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes
Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden
Erzhausen, den 1. Juli 1996
Infolg Ellßel - Präses
Gottlob Ling - Stellvertreter Präses a.A.
Gerhard Oertel - Bundessekretär
Richard Krüger - Direktor des Theologischen Seminares Beröa
Rainer Wagner: Auf der Suche nach Erweckung, Edition Bibelbund, 2009