Palästina ist nicht die Heimat der Vernunft

Manfred Rommel wirbt um Verständnis für Israel [ 1 ]


Viele sind der täglichen Schreckensnachrichten aus dem Nahen Osten überdrüssig und meinen, IsraeI sollte doch auf weitere Vergeltungsmaßnahmen verzichten - denn der Klügere gibt nach. So einfach liegen die Dinge aber nicht. Es fragt sich, ob der, der nachgibt, immer der Klügere und nicht manchmal auch der Dumme ist.

Bei Differenzen in der israelischen Regierung neige ich meist eher der Position des Außenministers Schimon Peres als zu der des Ministerpräsidenten Ariel Scharon, soweit ich als Zeitungsleser und gelegentlicher Gesprächspartner von Leuten, die besser informiert sind, die Sache beurteilen kann. Aber es ist doch in jedem Fall zu überlegen, ob die Extremisten es nicht als Sieg des Terrorismus feierten, wenn Israel einseitig nachgibt, und welche Folgen das hätte.

Was die palästinensische Seite anlangt, fragt sich überdies, ob Arafat oder ein anderer so viel Autorität hat, wie nötig wäre, dass das, was er zusagt, von den übrigen mitgetragen wird. Zum Beispiel auch von Hamas und Jihad. Auf dem Felde der Unvernunft leisten wir Deutsche zwar auch Beachtliches. Aber Palästina ist auch nicht gerade die Heimat der Vernunft. Es wäre der schlechteste Fall, wenn durch ein Nachgeben Israels ein Triumphgeschrei der Terroristen und ihrer Hintermänner ausgelöst würde und dadurch die ohnehin in der letzten Zeit zur Mode gewordene Bereitschaft zu Selbstmordattentaten neuen Auftrieb erhielte.

Angesichts dieser Möglichkeit können wir uns nicht einreden, dass das Ganze nur ein Problem Israels und Palästinas sei. Die gesamte Welt wäre betroffen. Fast alle Staaten haben ein vitales Interesse daran, dass der Terrorismus zurückgedrängt wird und erlischt. Denn ihre Städte, ihre Technik, ihre Versorgungseinrichtungen und ihr Verkehrswesen bieten dem Terrorismus so viele Angriffsflächen, dass sie unmöglich alle gesichert werden könnten. Die Sicherung gegen terroristische Angriffe würde sich von der Defensive hin zur Prävention entwickeln, das heißt, anstatt einen Angriff abzuwarten, würde man ihm zuvorkommen. Nicht Tatsachen, sondern schon ein Verdacht würde die Gewalt auslösen.

Viele Opfer erwartet

Den Bestand des Staates Israel zu sichern und die Interessen Israels zu berücksichtigen ist eine weltpolitische Notwendigkeit. Immer wieder erregen Äußerungen das dunkle Gefühl, dass dieser Anspruch zwar allen anderen Staaten zugebilligt wird, nicht aber Israel, denn es gibt fast kein Opfer, das Israel zum Zwecke der Erhaltung der europäischen Gemütsruhe nicht abverlangt würde.

Israel ist bereit, sich mit den Palästinensern und den Nachbarn zu einigen. Aber je größer die verbleibende Feindseligkeit und Unberechenbarkeit ist, desto vorsichtiger wird Israel sein. Die jüdischen Menschen haben mit Wehrlosigkeit, Vertrauensseligkeit und Kompromissbereitschaft nicht immer gute Erfahrungen gemacht. Dennoch ist Israel mit seinen Angeboten für eine Friedenslösung sehr weit gegangen. In Deutschland empfiehlt sich sowieso Zurückhaltung mit weiter gehenden Vorschlägen. Verständnis und ein gewisses Maß an Solidarität schulden wir Israel schon. Wir wollen uns schließlich nicht das bittere Wort von Heinrich Heine entgegenhalten lassen: Der Beleidiger verzeiht niemals. Die Verfolgung der. Juden im NS-Staat sahen seinerzeit viele als Nebensache an. Auch in anderen Ländern reagierte man auf die Judenverfolgung zunächst mit Gelassenheit, obwohl die deutschen Juden seit Hitlers Machtergreifung ausgegrenzt, diffamiert, beraubt, vertrieben und schließlich ermordet wurden. Eine Massenerhebung zu ihren Gunsten blieb aus. Hätte es damals schon einen jüdischen Staat gegeben, wäre so ein ungeheuerliches Unternehmen, das sich bis zur Geheimsache erklärten Ermordung von sechs Millionen Menschen steigerte, kaum möglich gewesen. Der Judenhass wurde von einer Minderheit empfunden. Weit mehr verbreitet als der Hass war die Neigung, die Verfolgung der Juden nicht zur Kenntnis zu nehmen oder hinter andere Ereignisse und Sorgen zurücktreten zu lassen. Selbst als nach dem Ende des Dritten Reiches die furchtbare Wahrheit zu Tage gebracht werden konnte, dauerte es ziemlich lange, bis die ganze Ungeheuerlichkeit der Öffentlichkeit bewusst wurde.

Trauer allein genügt nicht

Es kommt nicht nur darauf an zu trauern, sondern auch zu lernen und etwas iu unternehmen. Aus der Vergangenheit lernt, wer die Zukunft besser macht. Erstens muss das Existenzrecht des Staates Israel unangefochten sein und notfalls auch durchgesetzt werden. Zweitens kann nicht geduldet werden, dass irgendwo in der Welt Attentäter motiviert, exzerziert, dressiert, finanziert, honoriert und glorifiziert werden, damit sie beliebige Menschen eines anderen Vollces ermorden können. Kein Zweck und kein Ziel kann eine so menschenverachtende Manipulation von Menschen zu einem so menschenverachtenden Verhalten entschuldigen oder gar rechtfertigen.

Gelegentlich hört man, die Palästinenser könnten sich doch nicht anders wehren. Ganz abgesehen davon, dass Israel zu Verhandlungen bereit war und ist, Massenmord an Unbeteiligten ist auch kein zulässiges Mittel, um sich zu wehren. Wer kein anderes Mittel hat, darf deshalb noch lange nicht Besucher eines Marktes oder eines Restaurants umbringen, um die übrigen in Furcht und Schrecken zu versetzen. Es ist schrecklich, wenn junge Menschen für eine Sache in den Tod geschickt werden oder sich selber umbringen. Aber man muss schon die Sache auf den Prüfstand stellen. Der Tod 14-jähriger Pimpfe, die 1945 mit einer Panzerfaust bewaffnet in den sinnlosen Krieg geschickt wurden, entbehrt gewiss nicht der Tragik. Das ist aber doch kein Grund, auch noch die Sache zu glorifizieren, welche die Tragödie herbeigeführt hat. Im Gegenteil. Es ist doch eine bodenlose Gemeinheit, junge Menschen einer Gehirnwäsche zu unterziehen, sie zu Mord und Selbstmord anzustiften, sie zum Zwecke der Anwerbung weiterer Märtyrer zu Helden hochzustilisieren und ihnen auch noch neben irdischem Geld für die Familie und ohne jede jenseitige Vollmacht einen guten Platz im Himmel nebst diverser Jungfrauen und Freibillets für die Verwandtschaft zu versprechen. Überdies ist das, wie mir muslimische Freunde versichern, eine Beleidigung und Verhöhnung des Islams mit der Wirkung, dass die Beleidiger keinen Jungfrauen im Himmel, sondern dem Teufel in der Hölle begegnen werden, wenn ihre letzte Stunde gekommen ist. Aber wer seine Sünden bereut und sie nicht weiterhin begeht, der könne seine Seele noch retten, wenn ihm Gott verzeiht.

[ 1 ] Stuttgarter Zeitung vom 4. Juni 2002

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Ins Netz gesetzt am 10.9.2002; letzte Änderung: am 22.03.2013
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