Gedanken zur Seelsorge an Frauen und Mädchen

Daniela Kurz [ 1 ]

Über Seelsorge und über Frauen wurde in den letzten Jahren in Deutschland reichlich geschrieben und diskutiert. Vieles ist dabei in der Theorie geblieben oder war reine Theorie. Wie sieht es wirklich aus in den Köpfen der Frauen in Deutschland? Das ist sehr schwierig zu beurteilen. Mittlerweile leben in Deutschland Frauen unterschiedlichster Herkunft, nicht nur hinsichtlich ihrer Kultur, Erziehung und Bildung, sondern auch hinsichtlich ihrer Weltanschauung und Sichtweise von Religion usw. Die christlichen Gemeinden bilden hier und da schon eine eigene Subkultur, in der es eben auch spezielle Sorgen und Nöte von Frauen gibt. Deshalb ist das Thema Seelsorge an Frauen und Mädchen von den Menschen geprägt, denen ich täglich begegne und mit denen ich zusammenarbeite.

In meiner Arbeit lerne ich Frauen in verschiedensten Lebenssituationen kennen: Da sind junge Mädchen, die plötzlich in die Rolle einer Mutter geraten, da sind junge Mädchen, die zu Hause keine Heimat finden. Da sind solche, die sich selbst nicht mögen und ihre Welt auch nicht. Da ist die junge Frau, die alleine ein Kind erziehen und gleichzeitig voll berufstätig sein muß. Wir finden Frauen, die unzufrieden mit ihrem Status sind - ob Single oder verheiratet -, beides kann zum Problem werden. Es gibt Frauen, die leiden unter körperlicher oder seelischer Mißhandlung oder unter der Mißhandlung ihrer Kinder. Ältere Frauen fühlen sich oft abgeschoben und vernachlässigt oder haben Angst vor dem Alter und dem Tod. Manche Frauen fühlen sich nicht wohl in ihrem Körper und entwickeln - angereizt von dem Ideal unserer Kultur - z. B. Eß- oder Verhaltensstörungen. Es gibt Mütter, die mit ihren Teens leiden und andere, die an ihnen leiden. Man könnte die Liste beliebig fortsetzen.

Wir kennen Betroffene aus Gemeinde, Beruf oder Familie. Viele suchen Hilfe und wissen nicht, ob es überhaupt richtig ist, nach Hilfe zu rufen. Wo können sie ansetzen, welche Bereiche sind wichtiger als andere? Ein Thema, das immer wieder angesprochen wird, ist, daß Frauen sich nicht ernstgenommen fühlen. Sie leiden darunter, daß sie kein Forum in Gemeinde oder Beruf haben. Hier geht es nicht vorrangig um Ämter, sondern um ein Wahrgenommenwerden auf geistiger und geistlicher Ebene. Viele Frauen erfahren täglich tiefe seelische Verwundungen. Sie werden ignoriert, ausgenutzt, benutzt und mißhandelt. Ungeachtet der Eigenverantwortlichkeit jeder Frau, sollte es uns alarmieren, daß solche Zustände in einer Gesellschaft geduldet oder gefördert werden.

Wenn ich die Seelsorge an Frauen und Mädchen betrachte, kommen mir unweigerlich zwei Gedanken in den Sinn. Erstens, mein Ziel in der Seelsorge ist es, daß die Frauen Jesus Christus kennenlernen und in Beziehung zu ihm treten. Dies ist der Raum, in dem sie am besten wachsen, sich entfalten und heil werden können. Das letzte Ziel wäre, Jesus ähnlicher zu werden.

Was bedeutet das in der Praxis? Es fängt damit an, daß wir Frauen von Jesus erzählen und sie einladen, ein Leben mit ihm zu führen. Dies ist keine einfache Aufgabe und hat oftmals zu Unstimmigkeiten geführt. Für mich heißt es auch, daß wir Menschen in unserem Wesen und Herzen Jesus ähnlich werden. Grundvoraussetzung für dieses Wachsen ist ein biblisches Gottesbild. Ich bin einerseits immer wieder überrascht, welche verzerrten Gedanken Frauen über Gott haben. Und unweigerlich sehe ich dann einen Zusammenhang zwischen dem Vaterbild und ihren Problemen. Andererseits bin ich erstaunt über die Gleichgültigkeit, mit der Glaube vielfach praktiziert oder hier und da zur Gesetzlichkeit wird, um den Himmel zu verdienen. Es scheint, als könne der Mensch Gnade und Gehorsam, Zorn und Liebe Gottes nicht in einer Person ertragen.

Zweitens ist es wichtig, daß wirklich ein biblisches Frauenbild vermittelt wird. Mich erschreckt es, daß man die christliche Frau als schüchtern, schwach und in ihren Fähigkeiten begrenzt ansieht. Eine reife, geistliche Frau ist nicht schüchtern oder schwach.

Es ist immer noch ein wichtiges Thema unserer christlichen Gesellschaft, den Frauen in Christus zu begegnen. Doch was heißt das - bzw. was heißt es nicht? Die zwei Extreme Feminismus und Unterordnung (nicht im biblischen Sinne oder im allgemein sprachlichen Sinne) gehen heute noch Hand in Hand und werden fälschlicherweise als die zwei einzigen Varianten, in denen sich eine Frau bewegen kann, dargestellt. Viele Frauen leiden in der christlichen Gesellschaft darunter, daß sie nicht als vollwertig akzeptiert werden. In der Theorie und im Gespräch würde das so keiner zugeben, aber die Realität sieht oftmals ganz anders aus. Was Frauen am meisten verletzt, ist eine Grundhaltung, die die Distanz spürbar werden läßt. Oft geht es nur um Kleinigkeiten.

Es scheint mir ein wichtiges Merkmal in der Seelsorge an Frauen und Mädchen zu sein, daß wir überhaupt wahrnehmen, was sie bewegt, um ihnen dann praktisch umsetzbare Hilfen anzubieten. Hier geht es zunächst darum, Frauen als Geschöpf Gottes zu sehen und nicht in erster Linie ihre Aufgaben und "Begrenzungen" zu deuten. Es gilt, die spezifische Gabe einer Person zu entdecken und zu überlegen, wie diese Gabe für den Leib Christi fruchtbar gemacht werden kann. Dies ist bereits ein wichtiger Grundsatz für Mädchen. Sehen wir sie, wenn sie zum Beispiel zum Glauben kommen, dann auch als vollwertige Schwestern im Herrn an, oder sehen wir nur die kleinen Mädchen, die nichts zu sagen haben? Ich mußte so manche Lektion von einer jungen Schwester im Herrn lernen!

Unerläßlich ist erstens, daß wir in der Seelsorge die Situation und die Person verstehen lernen. Eine positive Umgebung ist für die Seelsorge an Frauen und Mädchen sehr wichtig, um eine Beziehung im richtigen Rahmen aufzubauen. Oftmals scheitert die Seelsorge daran, daß kein echtes Interesse an der Person besteht. Frauen sind sensibel für echtes Interesse. Zweitens ist es notwendig, Frauen Hoffnung zu vermitteln, die realistisch ist. Leere Versprechungen und illusionäre Angebote helfen wenig. Drittens sollte man im Gespräch Fakten sammeln und ansehen. Wie viele Entscheidungen in der Seelsorge an Frauen und Mädchen werden nicht aufgrund von Tatsachen, sondern aus anderen Motiven heraus getroffen. Da achtet man auf die Familie und den Namen, wenn Frauen - wie ich es erlebt habe - nicht ehrlich "auspacken", weil die Ältesten ihnen "ans Herz gelegt haben", eine bestimmte Familienangelegenheit nicht öffentlich zu machen, um die Gemeinde gut dastehen zu lassen. Manchmal mußte die Frau leiden oder seelisch zerbrechen, denn der Ruf der Familie war wichtiger als ihre Seele. Oder man hatte Angst, daß die Männer sich dann mehr und mehr zurückziehen. Seltsamer "Wille Gottes"!? Viertens achte ich immer darauf, was meine Absicht in der Seelsorge ist. Was bezwecke ich mit dem, was ich sage? Wohin möchte ich die Frauen und Mädchen führen? Wichtig ist, daß sie die Möglichkeit bekommen, im Glauben zu wachsen (wenn sie das wollen). Diese Möglichkeit anzubieten umfaßt verschiedene Aspekte. Das betrifft z. B. die Zeit: Ist es der Frau möglich, ihre Kinder einmal dem Mann zu überlassen, um eine Schulung, Freizeit, den Hauskreis, einen Volkshochschulkurs etc. zu besuchen? Gibt es zu Hause die Möglichkeit der Stille? Werden Frauen motiviert, sich weiterzubilden - auch im Rahmen von Familie und Gemeinde? Gerade in diesem Punkt gehen Theorie und Praxis oft weit auseinander. Was ist mit den alleinstehenden Mädchen und Frauen? Finden sie ein Zuhause in der Gemeinde? Auch dies ist ein wunder Punkt. Oftmals wollen wir sie nicht integrieren. Sie werden entweder als Konkurrenten oder Störfaktoren angesehen. Gastfreundschaft ist nur etwas für bestimmte Sonn- und Gemeinschaftstage. Die Liebe zum Nächsten hört oft da auf, wo ich etwas von mir aufgeben muß. Gerade alleinstehende Frauen leiden darunter, daß sie kein richtiges Gegenüber haben. Hier geht es nicht in erster Linie um eine sexuelle Beziehung, sondern um das Gespräch, das Angehört- und Ernstgenommen-Werden. Aber sollten nicht gerade auch diese Dinge christliche Gemeinschaft ausmachen?

Das wichtigste Element in der Seelsorge ist die anschließende Integration des Menschen und das Einüben seiner neu erworbenen Gedanken und Gewohnheiten. Theorie und Praxis müssen sich am Ende wieder finden, ansonsten bleibt vieles "leeres Geschwätz", was Frauen und Mädchen mehr verletzt, als sie ermutigt und aufbaut.

[ 1 ] Die Autorin, Daniela Kurz hat einen Magistertitel in Seelsorge und Theologie und ist Referentin für Frauenarbeit im Bund Freier ev. Gemeinden in Deutschland.


Dieser Artikel ist mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift "Weisses Kreuz - Zeitschrift für Lebensfragen" entnommen (Nr. 7, III/2001). Sie können gerne diese Zeitschrift auf Spendenbasis abonnieren.



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